Das neue Buxtehuder Modellquartier

Zwischen Westmoor und Königsdamm sollen 250 klimaneutrale Wohnungen für 500 bis 600 Menschen entstehen

Tageblatt, 25. März 2021
Karsten Wisser

BUXTEHUDE. Was hier passieren soll, wird in dieser Größenordnung Vorbildcharakter für die ganze Region bekommen. In Buxtehude soll ein neues Quartier mit 250 Wohnungen entstehen, in denen 500 bis 600 Menschen klimaneutral wohnen können.

Die Fakten: Es ist die letzte zusammenhängende Fläche, die in Buxtehudes Stadtkern noch bebaut werden kann. Bauherr HBI will auf 37 000 Quadratmetern 250 Wohnungen für 500 bis 600 Menschen bauen. Die Bebauung soll größtenteils drei- und viergeschossig ausfallen. Die letzten Gebäude in Richtung Konopkastraße sollen fünf- und siebengeschossig werden. Zwischen dem neuen Baugebiet und der Straße Westmoor wird ein 90 Meter breiter freier Streifen bleiben. In diesem Bereich ist im Flächennutzungsplan keine Wohnbebauung vorgesehen. Dort gibt es eine landwirtschaftliche Hofstelle. Die Erschließung wird über die Orchideenstraße erfolgen. Einen Namen hat die HBI für das Projekt gefunden. Orchideenquartier soll das Neubaugebiet in Anlehnung an die angrenzende Straße heißen.

Die Innovationen: Für Buxtehude und für die HBI soll das Orchideenquartier Modellcharakter bekommen. Im Betrieb sollen die Menschen dort einschließlich des Nutzerstroms CO2-neutral leben. Alle Dächer werden begrünt und die maximal mögliche Anzahl von Photovoltaikanlagen dort installiert. Die jetzigen Berechnungen sehen vor, dass dabei Strom für fünf Elektro-Autos übrig bleibt. Um möglichst wenig Torf ausbaggern zu müssen, baut HBI die Häuser auf dem Torf und verzichtet auf Tiefgaragen. Nur für die Erschließungsstraße muss Torf ausgebaggert werden. Die Garagen werden ebenerdig realisiert. Mobilitätsangebote wie Carsharing und Fahrradverleih einschließlich E-Lastenbike sollen dafür sorgen, dass die Zahl der Autos, die die Bewohner mit ins Quartier bringen, deutlich verkleinert wird.

Das soll sich beim Stellplatzschlüssel bemerkbar machen. Die Planer streben eine Quote von 0,5 bis 0,7 Parkplätzen pro Wohnung an. Für Buxtehude wäre das Neuland. Bisher sind zwei Parkplätze pro Wohnung die Regel. Für das Neubaugebiet Giselbertstraße gilt 1,5 Stellplätze pro Wohnung. Die Betriebskosten sollen im Quartier niedrig liegen, weil der Strom vor Ort produziert wird und die Häuser in ihrer Bauart auch nicht weit weg von einem Passivhaus sind.

So kann die Anordnung der Wohnungen und Garagen modellhaft aussehen. Aus den Garagendächern werden grüne Zonen , die barrierefrei erreicht werden können.

Das Regenrückhaltebecken soll so konstruiert werden, dass es als naturnaher Freiraum wahrgenommen wird und nicht als technisches Bauwerk. Um Vorausberechnungen zu überprüfen, wird es für das ganze Quartier eine Kontrolle geben, ob die Annahmen für das neue ÖkoQuartier in der Realität funktionieren. Sowohl Kontrolle als auch der Anspruch auf Klimaneutralität sind für das ganze Quartier, nicht für einzelne Wohnungen geplant.

Der politische Rahmen: Mit diesem Vorstoß trifft die HBI, die ihren Firmensitz demnächst von Nottensdorf nach Buxtehude verlegt, punktgenau die Buxtehuder Gemengelage. Bürgermeisterin Katja Oldenburg-Schmidt und der Erste Stadtrat Michael Nyveld legen einen Schwerpunkt ihrer Arbeit auf den Themenbereich Nachhaltigkeit und nachhaltiges Bauen und räumten damit auf nationaler Ebene Preise ab. „Es ist ein Glücksfall, dass wir einen Investor haben, der mit uns diesen Weg mitgehen will“, sagte der Erste Stadtrat, Michael Nyveld.

Auch in der Buxtehuder Politik besitzt das Thema in Zeiten der Fridays-for-Future-Bewegung und dem Grünen-Herausforderer Michael Lemke bei der Bürgermeisterwahl im September einen hohen Stellwert. „Wir wollen innovativ bleiben und die Zeichen der Zeit erkennen. Wir wollen Häuser bauen, die es so noch nicht gibt“, sagt HBI-Geschäftsführer Sven Geertz. Insgesamt reagierten die Vertreter der Politik im Ausschuss für Stadtentwicklung begeistert. Das ist gerade in Buxtehude und besonders in Vorwahlkampfzeiten ungewöhnlich. „Das ist ein Projekt mit Vorbildcharakter für die ganze Region“, sagte der Grünen-Abgeordnete Ulrich Felgentreu. Grundsätzliche Bedenken hat nur die AfD, die die Grenzen des Wachstums der Stadt erreicht sieht. Die SPD-Fraktionsvorsitzende Astrid Bade will noch einmal über die Stellplatzschlüssel reden. Ihre CDU-Kollegin Arnhild Biesenbach lobte die aus ihrer Sicht gelungene Gestaltung.

Günstige Wohnungen: Wie in der Giselbertstraße sichert die HBI zu, dass 30 Prozent der Wohnungen über 20 Jahre im preisgedämpften Segment liegen. Diese Wohnungen werden genauso wie alle anderen ausgestattet und über die verschiedenen Häuser verteilt. Der Wohnraum soll der sogenannten unteren Mittelschicht zugutekommen. Das sind Menschen, die Geld verdienen, aber aufgrund der hohen Mieten in Buxtehude Schwierigkeiten haben, Wohnungen zu finden. Hier entstehen 70 preiswerte Wohnungen. HBI-untypisch werden im Orchideenquartier nicht nur Mietwohnungen entstehen. 30 bis 40 Wohneinheiten sind zum Verkauf vorgesehen.

Die Sorgen der Anwohner: Die Präsentation im zuständigen Ausschuss wurde von mehreren Anwohnern aus dem Bereich Königsmoor verfolgt. Sie sorgen sich um die Infrastruktur und die Höhe einiger Gebäude. So gibt es Zweifel, ob die Stadt genügend Kita- und Schulplätze zur Verfügung stellen kann. Sie befürchten auch, dass die Orchideenstraße mit dem zusätzlichen Verkehr überfordert sein könnte. Auch die beiden fünf- bis siebenstöckigen Gebäude angrenzend zur Schröderstraße mit zwölfstöckigen Gebäuden werden skeptisch gesehen. Im Laufe der demnächst startenden Aufstellung des Bebauungsplans gibt es die Möglichkeit, diese Bedenken ins Verfahren einzubringen.

Wie geht es weiter: Am 21. April wird der Stadtentwicklungsausschuss über den Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan entscheiden. Eine Zustimmung der Politik gilt als sicher. Sven Geertz hofft, dass der Bebauungsplan Ende 2021 oder Anfang 2022 rechtskräftig wird. Damit könnte 2022 mit der Erschließung und 2023 mit dem Bau der Häuser begonnen werden. 2024 könnten die ersten neuen Bewohner die Wohnungen im Stadtquartier beziehen.